Außer Gefecht: Leben, Leiden und Sterben »kommunistischer« Gefangener in Vietnams amerikanischem Krieg

Außer Gefecht: Leben, Leiden und Sterben »kommunistischer« Gefangener in Vietnams amerikanischem Krieg
Das Schicksal »kommunistischer« Gefangener in Vietnams »amerikanischem Krieg« (1965-1973) harrte bis anhin einer komparativen historischen Untersuchung. Im Unterschied zu den Leiden amerikanischer Kriegsgefangener war bisher über die Behandlung ihrer Schicksalsgefährten südlich des Bambusvorhanges nur wenig bekannt. Die vorliegende Studie ist der erste Versuch, die militärjuristische, nachrichtendienstliche, politische, gesellschaftliche und mediale Bedeutung kommunistischer Gefangener aus einer polemologischen Perspektive aufzuarbeiten. Die Bezeichnung »kommunistische Gefangene« war häufig eine externe Zuschreibung für die in Südvietnam gemachten Gefangenen. Nur selten handelte es sich dabei um Kriegsgefangene kommunistischen Couleurs, der grösste Teil waren sogenannte »Civil Defendants«. Darunter fielen meist zivile Gefangene, die oft das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Denn im südvietnamesischen Polizeistaat konnte beinahe jeder Zivilist allzeit verhaftet und aufgrund vager Vorwürfe in Gewahrsam genommen werden. Gemäss dem zeitgenössischem jus in bello wäre dieser Gefangenenkategorie nur ein Bruchteil jener Rechte zugestanden, wie sie die internationale Staatengemeinschaft in der dritten Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen kodifiziert hatte. Als in Südvietnam jedoch evident wurde, dass die Abgrenzung zwischen den veranschlagten Gefangenkategorien oft willkürlich war, begannen die USA dafür zu votieren, zunächst allen Gefangenen die Rechte der besagten dritten Genfer Konvention zuzugestehen.
Aufbauend auf einem Fundus an Primärquellen aus 14 Archiven auf drei Kontinenten, dem Studium von Selbstzeugnissen und der Analyse der umfassenden Sekundärliteratur zum Vietnamkrieg, illustriert der vorliegende Ansatz die erhebliche Diskrepanz zwischen juristischem Anspruch und militärischen Wirklichkeiten; zwischen ziviler und militärrechtlicher Theorie und informeller Praxis. Diesbezüglich beschreibt und deutet die Untersuchung die beinahe alltäglichen Kriegsrechtsverletzungen an Gefangenen in Kampfessituationen einerseits und im rückwärtigen Raum andererseits. Verhörte Gefangene berichteten in beiden Fällen häufig von Folter, Reuezwängen und Misshandlungen. Im Weiteren wird dargelegt, weshalb diese allgegenwärtige Gewalt, obwohl schon früh von der internationalen Presse en Detail beschrieben, von der (amerikanischen) Öffentlichkeit verdrängt, und die Täter nur selten zur Rechenschaft gezogen wurden. Darauf hatte auch die konstante
Kritik durch das IKRK, Amnesty International und anderer Menschenrechtsorganisationen nur marginalen Einfluss.
Sodann entwickelt die Studie multifaktorische Erklärungsversuche zum Verständnis des weitgefächerten Spektrums interpersonaler Gewalt, die von der simplen Schikane über Misshandlungen, Folter und sexueller Gewalt bis hin zu Mord und Verstümmelung reichte. Solche Verbrechen wurden charakteristischerweise nicht nur von Soldaten im Feld begangen, sondern setzten sich auch im rückwärtigen Raum fort. Hierfür wird hauptsächlich auf die Internierungsbedingungen in den Kriegsgefangenenlagern, Verhörzentren sowie National-, Provinz- und Distriktgefängnissen eingegangen. In solchen »totalen Institutionen« (Erving Goffman) interessiert das multiple Zusammenspiel zwischen uniformierten und zivilen Akteuren. Für die Analyse im Feld werden die geltenden Feldhandbücher, Direktiven, Verordnungen und Broschüren sowie Erlasse herangezogen. Die Auswertung zeigt, dass allen involvierten Zeitgenossen klar sein musste, dass Gewalt gegenüber Gefangener über alle Kriegsphasen hinweg verboten war. Trotzdem gingen nur allzu viele Einheiten zu einer Politik des »Keine-Gefangenen-Machens« über. Die Militärdoktrin und die Rolle des Offizierskorps taten das Ihre dazu bei, dass den als gegnerisch wahrgenommenen Gefangenen eine besonders exponierte Stellung zukam. Insbesondere nach Kämpfen verspürten viele Soldaten ein ausgeprägtes Rachebedürfnis, das sie an Gefangenen auslebten.
Diese Studie erhofft, der historischen Gewaltforschung im längsten heissen Krieg des Kalten Krieges neue Impulse zu verleihen. So kommt der exemplarischen Gewalt als nonverbale Kommunikationsform gegen Innen und Aussen eine eminente Bedeutung zu. Spezifische Berücksichtigung verdient dabei der Konnex zwischen Gewalt und Inszenierung der eigenen Stärke; zwischen Selbstermächtigung und Frustrationsbewältigung. Insbesondere in asymmetrischen Kriegen hängen Guerillas von der Geheimhaltung ab, weshalb in Südostasien nur wenige in Gefangenschaft tatsächlich kooperierten. In der Wahrnehmung vieler amerikanischer und südvietnamesischer Soldaten waren Gefangene nur des Kriegsrechts würdig, wenn sie sich ebenfalls daran orientierten und nach »konventionellen, zivilisierten Regeln« kämpften. War das wie in Südvietnam nicht der Fall, wurde der Gegner von der eigenen Seite gnadenlos bekämpft, insbesondere hors de combat - Erkenntnisse also, die angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen im internationalen Kriegsbild kaum aktueller sein könnten.

Autor/in

Marcel Berni

Verlag

Hamburger Edition

ISBN

978-3-86854-348-3

Publiziert

2020

Spezialisierung

Geistenswissenschaften

Thema

Internationale Beziehungen und Politik
Stadt / Land
Gesellschaft
Nationale Politik
Menschenrechte
Geschichte
Gender und Identität
Krieg / Frieden

Region

Global Asia (Asia and other parts of the World)
Inter-Asia
Südostasien
Kambodscha
Laos
Vietnam